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Titel
Religionssoziologie. Eine Einführung in zentrale Themenbereiche


Autor(en)
Pickel, Gerd
Erschienen
Wiesbaden 2011: Verlag für Sozialwissenschaften
Anzahl Seiten
478 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Ansgar Jödicke

Gert Pickels Einführung in zentrale Themenbereiche der Religionssoziologie füllt eine Lücke im Buchmarkt. Die letzten beiden deutschsprachigen Einführungen in die Religionssoziologie sind 1999 erschienen und konzeptionell nicht mit dem von Pickel als Lehrbuch gestalteten Band zu vergleichen. Der Autor präsentiert keinen eigenen Zugang, sondern führt die theoretischen, methodischen und thematischen Ressourcen der Disziplin ‹Religionssoziologie› vor. Im Wesentlichen werden dabei zentrale Autoren besprochen. Berücksichtigt werden nicht nur die «Klassiker» des frühen 20. Jahrhunderts, sondern auch die Entwicklungen seit den 1960er Jahren ebenso wie die neueren Diskussionen im 21. Jahrhundert (z.B. Robert Putnam). Das letzte Drittel des Buches ist nicht den Theorien, sondern den Methoden, den empirischen Daten und Befunden der (primär quantitativen) Religionssoziologie gewidmet.

Der Funktion eines Lehrbuchs wird in verschiedener Hinsicht Rechnung getragen: Das umfassende Literaturverzeichnis am Ende des Buches wird durch kurz kommentierte Literaturhinweise nach jedem Kapitel ergänzt. Eine Liste von Internetquellen und Internetseiten von Forschungszentren sind ebenso nützlich wie das Register. Das Buch ist flüssig, gelegentlich auch locker, geschrieben und überzeugt mit zahlreichen schematischen Darstellungen, welche die Kernargumente meist in Tabellenform visualisieren. Sowohl innerhalb des Fliesstextes als auch am Ende jedes Kapitels werden Memoboxen als didaktische Elemente eingesetzt. Hier wird in einfachen Aussagesätzen die Darstellung zusammenfasst. Dabei nimmt der Autor gelegentlich kühne Vereinfachungen in Kauf: «Memobox 2.9: Webers Interesse an der Religion: Von entscheidender Bedeutung für Webers Betrachtung der Religion ist die empirisch beobachtbare Korrespondenz von protestantischer religiöser Kultur und wirtschaftlichem Erfolg.» Die schlaglichtartigen Zusammenfassungen am Ende der Kapitel sind nicht weniger simplifizierend; sie helfen jedoch, die zentralen Punkte nochmals ins Gedächtnis zu rufen.

In mancher Hinsicht hinterlässt das Buch den Eindruck, dass es pragmatisch aus den Lehrveranstaltungen und der Bildung didaktisch sinnvoller Einheiten herausgewachsen ist. Das mag für ein Lehrbuch in mancher Hinsicht von Vorteil sein, doch bleibt die (didaktisch ebenfalls wichtige) Systematik gelegentlich auf der Strecke. Die Gliederung des Buches ist nicht immer überzeugend: Einige Autoren erhalten mit «ihrem» Thema ein eigenes Kapitel («Pierre Bourdieus Theorie des religiösen Feldes») andere werden unter ein allgemeines Thema subsummiert (Charles Taylor und Jürgen Habermas unter «Aktuelle sozialphilosophische Gedanken zur Religion»). Grundsätzlich besteht natürlich die Wahl einer personenbezogenen oder eher themenbezogenen Darstellung. Das Lehrbuch schwankt zwischen den beiden Varianten. Themenbezogene Darstellungen sind v.a. das Kapitel 3 über die Säkularisierungsdebatte und die drei letzten Kapitel über Methoden, Daten und zahlreiche empirische Befunde insbesondere der quantitativen Soziologie.

Im Kapitel über die Säkularisierungsthese z.B. enthalten die ersten beiden Überschriften ein Fragezeichen («Säkularisierung – Das langsame Verschwinden der Religion?» und «Individualisierung – Die (richtige) Antwort auf die Säkularisierungsthese? »). Dann folgt – ohne Fragezeichen – «Religiöser Wettbewerb und das religiöse Marktmodell». Es wäre jedoch falsch daraus zu schlussfolgern, dass der Autor das dritte Unterkapitel in irgendeiner Weise weniger fragwürdig ansieht.

Vertreter einer interpretativen Soziologie werden mit einer gewissen Enttäuschung den selbstverständlichen Schwerpunkt auf der quantitativen Soziologie notieren. Wenngleich der Autor durchaus für «methodische Offenheit und Toleranz der Methoden» (335) plädiert, ist die qualitative Methodik ganze fünf Seiten wert. «Religionsethnographische Ansätze» sind im Register mit einer einzigen Fundstelle vermerkt, an der sie in 13 Zeilen abgehandelt werden.

Eine offenkundige Grenze der gegenwärtigen Religionssoziologie wird in der vorliegenden Einführung überdeutlich: Die dominante Ausrichtung auf das Christentum v.a. in Europa und Nordamerika. Im Kapitel «Empirische Befunde der Religionssoziologie: Die religiöse Entwicklung in Deutschland» kommt z.B. der Islam nicht vor. Immerhin gibt es kurze Kapitel zu Lateinamerika und eines zu «Nordamerika, Asien und Afrika» (sic!). Doch auch dort liegt das Hauptinteresse am Christentum.

Bezeichnenderweise sind im Schlusswort («Perspektiven für die Religionssoziologie») sechs der insgesamt neun Absätze der Theologie bzw. den (christlichen) Kirchen gewidmet. Auch an anderen Stellen wird punktuell immer wieder die Kirche als Adressat angesprochen. Gewiss ist die theologische Verwertung religionssoziologischer Erkenntnisse möglich und vor dem Hintergrund der Tätigkeit des Autors an der Theologischen Fakultät Leipzig verständlich; dennoch hätte eine stärkere Trennung der Interessen einer Einführung in die Disziplin gut angestanden.

Für eine zweite Auflage wäre ein erneutes sorgfältiges Lektorat von Vorteil; der Band enthält nicht wenige Druckfehler, Abbildung 3.5 ist von schlechter Qualität und eine Reihe von Verweisen laufen ins Leere (wo ist Abbildung 3.4?). Trotz alledem muss die Arbeit gewürdigt werden. Das Buch ist für den Einstieg gut geeignet, enthält eine Fülle von Informationen und kann einen nuancierten Einblick in die Disziplin gewähren.

Zitierweise:
Ansgar Jödicke: Rezension zu: Gert Pickel, Religionssoziologie. Eine Einführung in zentrale Themenbereiche, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 107, 2013, S. 495-497.

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